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    AUF DREI Eine STAR WARS™: Squadrons-Kurzgeschichte von Joanna Berry

       

    Atme.

    Du erinnerst dich an die Routine, die du dir selbst beigebracht hast, als sie dich das erste Mal wieder zusammengeflickt haben. Einatmen und bis drei zählen. Halten. Ausatmen und bis drei zählen. Halten. Dann wieder von vorne.

    Denk an die Routine. Denk daran, den Schmerz in deinem Nacken, deiner Brust und deinen Armen hinzunehmen. Er ist Beweis dafür, dass du am Leben bist. Noch.

    Aber nur, solange du die Routine einhältst. Also zähle und atme ... oder stirb.

    #

    Als Shen wieder zu Bewusstsein kam, lag er auf dem Rücken. Die Notbeleuchtung tauchte die Wände, die ihn umgaben, in ein Wechselspiel aus grellem Rot und dunkelstem Schwarz. Es herrschte absolute Stille. Die Explosion hatte ihn mit solch gewaltiger Wucht gegen einen Dammbalken geworfen, dass dort eine Delle zurückblieb. Shens Helm – üblicherweise seine Augen und Ohren – schien beschädigt worden zu sein.

    Atmen. Orientieren.

    Was ist gerade passiert?

    Stückweise kehrten die Erinnerungen wieder zurück. Er befand sich auf der Exigent, einem imperialen Trägerschiff der Quasarfeuer-Klasse. Man hatte ihn vorübergehend einer Routine-Spähmission zugeteilt, die der Titan-Staffel vorausgeschickt wurde. Shen befand sich gerade auf dem Rückweg vom Frühstück in der Schiffskantine. Er kam im Gang an zwei jungen TIE-Piloten vorbei, die in Tratsch vertieft zu sein schienen und schnell verstummten, als Shen sich ihnen näherte, aber umso eifriger weiterredeten, als sie glaubten, dass er sich wieder außer Hörweite befand.

    Shens letzte Erinnerung danach war ein Alarm. Rakete im Anflug.

    Die beiden jungen Piloten lagen nun leblos neben ihm auf dem Boden. Blut bedeckte ihre Gesichter, strömte aus ihren Nasen und Ohren. Der Anblick überraschte ihn nicht. Der Einschlag war nahe genug, um einen gewöhnlichen Menschen schon allein durch die Wucht des Aufpralls zu töten.

    Aber Shen war kein gewöhnlicher Mensch. Zumindest nicht ganz. Wieder und wieder ist sein Körper rekonstruiert worden. Die meisten TIE-Piloten überleben ihren ersten Absturz nicht. Shen hat all seine Abstürze überlebt. Dafür zahlte er einen bitteren Preis.

    Er richtete sich auf. Shen konnte fühlen, wie sich die kybernetischen Servos in seinem einst gebrochenen Genick an die Arbeit machten und sich mit seinem Helm in Verbindung setzten. Schmerz spürte er nicht – den hatte er sich schon lange abgewöhnt. Allerdings empfand er eine seltsame Enge in der Brust, die ihn störte.

    „Ich werde wohl alt“, dachte er zu sich selbst. Sein Witz half weder seiner Brust noch seiner Stimmung.

    Ein Rauschen machte sich in seinem Helm bemerkbar, dann erweckte auch der Rest der Welt für ihn zum Leben. Ein dröhnender Alarm. Das Knirschen von Stahlträgern. Das langsame Zischen seines Atems. Drei, halten, drei, halten. Seine vertraute Routine. Er klinkte sich in den lokalen Kanal der Titan-Staffel ein und wurde von lauten und kreativen Flüchen begrüßt.

    „... du Hutt-leckendes Stück Dreck ... Komm schon ...!“

    „Vonreg“, sagte Shen nüchtern.

    Etwas regte sich, dann ertönte eine Stimme: „Shen? Du hast überlebt? ... Natürlich hast du überlebt. Was ist passiert?“

    „Raketenangriff.“

    Vonreg knirschte hörbar mit den Zähnen. „Hier draußen? Das System sollte doch sicher sein!“

    „Ich weiß.“

    „Wir müssen so schnell wie möglich zur Brücke. Ich bin in der Nähe, aber die Tür zum Hauptzugang ist versperrt.“ Das dumpfe Geräusch eines schweren Kampfstiefels, der auf eine Tür prallte, war zu hören.

    Shen stand auf, doch bevor er etwas erwidern konnte, erschütterte ein weiteres Beben das Deck. Seine kybernetischen Implantate übermittelten ihm besonders detaillierte Informationen über das Beben, und dank seiner Erfahrungen wusste er genau, was dem Schiff bald bevorstand.

    „Keine Zeit“, berichtete er. „Das Schiff ist erledigt.“

    „Was?“

    „Das Schiff ist erledigt. Wir müssen hier weg.“

    Vonreg hatte gelernt, Shens Instinkten nicht zu widersprechen. „Verstanden. Allerdings haben wir die Steuerbord-Hangars verloren. Unsere TIE-Jäger können wir vergessen.“

    „Dann nehmen wir einen Reaper. Ich habe einen in den Backbord-Hangars gesehen.“

    Ein Piepen ertönte. „Okay ... Sieht aus, als wäre Backbord noch intakt. Wenn ich nur an dieser verdammten Panzertür vorbeikommen ...“

    „Ich bin auf dem Weg“, versicherte ihr Shen.

    #

    Die Eingeweide der Exigent waren zu einem Chaos aus funkensprühenden Drähten und dichtem Rauch verkommen. Die schmerzerfüllten Schreie von Verletzten oder Befehle von Offizieren hallten durch die Gänge. Shen bewegte sich durch das Schiff, wie man sich durch einen Albtraum bewegt: So schnell wie möglich, aber trotzdem irgendwie nie schnell genug. Er legte nur eine einzige Pause ein, und zwar, um den Evakuierungsalarm des Decks auszulösen. Das blinkende rote Licht wurde zu einem noch schneller blinkenden Gelb. Evakuierungslichter leuchteten am Boden auf, um den Weg zu den Rettungskapseln zu weisen.

    Shen ignorierte sie. Er wusste bereits, wohin er musste.

    Die Panzertür zum Hauptzugang stellte ein Problem dar. Ein Träger war gegen die Tür gefallen und hatte diese verbogen. Von der anderen Seite hörte Shen ein frustriertes Knurren, ähnlich dem eines eingesperrten Nexus. „Vonreg?“

    „Hier!“

    Shen drückte seine Schulter gegen den Träger, um das Gewicht zu ermitteln, und schob ihn mühelos beiseite. Die Enge in seiner Brust verschlimmerte sich jedoch merklich.

    „Manuelle Öffnung?“, fragte er Vonreg.

    „Habe ich schon versucht. Hat nichts gebracht.“

    Shen betrachtete die Panzertür kurz, ging in die Hocke und verankerte seine Finger in den Haltegriffen am unteren Rand. „Dann heben wir sie hoch. Auf drei.“

    „Okay. Eins ... zwei ...“

    Als Vonreg „Drei“ rief, hob Shen die Tür. Sie protestierte quietschend. Die Enge in Shens Brust verschlimmerte sich sofort. Er ignorierte sie, spannte seinen gesamten Körper an und brachte sämtliche Kraft auf, die er aus seinen Muskeln, seiner Kybernetik und seiner Sturheit schöpfen konnte. Die Tür gab nach und eine schlanke Figur in einer TIE-Pilotenuniform schlüpfte schnell durch den Spalt. Shen ließ die Tür mit einem donnernden Krachen wieder herabfallen.

    „Gute Arbeit“, lobte ihn Havina Vonreg, die sich vor ihm aufgerichtet hatte und nun den Staub von ihrer Uniform klopfte. Sie war etwa halb so groß wie Shen, kompakt wie ein Thermaldetonator und eine Narbe zog sich durch ihr auf einer Hälfte rasiertes, rabenschwarzes Haar. „Wir sollten ... Was zur Hölle?“

    Sie zeigte mit dem Finger auf Shen. Shens Blick wanderte nach unten. Direkt unter seinem Schlüsselbein ragte ein spitzes Stück Durastahl aus seinem Körper hervor. Durch den Einschlag musste ein Trümmerteil des Schiffs wohl seine Panzerung durchbohrt haben. Daher also die seltsame Enge. Die Auswirkung des Schmerzes, den er nicht spürte.

    „Nicht wichtig“, erwiderte er. „Wir müssen zuerst evakuieren.“

    Vonreg warf dem Stück Stahl einen besorgten Blick zu, schüttelte aber schließlich den Kopf. „Ich folge dir.“

    Der Backbord-Hangar war intakt, aber kaum wiederzuerkennen. Die Erschütterung des Raketenangriffs hatte die TIE-Jäger von ihren Halterungen gelöst. Diese lagen nun qualmend über das gesamte Deck verstreut. Der TIE-Reaper stand auf dem Boden. Vermutlich hatte man ihn für eine Wartung heruntergeholt. Er besaß ein flaches Profil und bot genug Platz, um ein ganzes Kommandoteam zu transportieren. Der Flügel eines heruntergefallenen TIE-Jägers war auf ihm gelandet, doch er schien noch funktionstüchtig zu sein.

    Während sie zum Reaper rannten, spürte Shen, wie das Deck von einem weiteren Beben erfasst wurde. Es war noch stärker als das vorherige. Er wusste, dass nicht genug Zeit blieb, um nach Überlebenden zu suchen.

    „Vonreg, Beeilung!“, rief er ihr zu.

    Vonreg hielt kurz inne, um sich einen Helm von einer halb zusammengebrochenen Halterung zu schnappen. „Verstanden. Wie schlimm wird es?“

    „Katastrophal.“ Shen erreichte den Reaper, kappte die Treibstoffversorgung und senkte die Rampe. Vonreg hechtete in den Innenraum. Shen war gleich hinter ihr, setzte sich in den Pilotensitz und nahm den Reaper in Betrieb. Vonreg nahm neben ihm Platz und schnallte sich an. „Check.“

    „Halt dich gut fest“, warnte Shen.

    Er war eigentlich an das ungleich verteilte Gewicht eines beladenen TIE-Bombers gewöhnt. Der Reaper war speziell auf den schnellen Einsatz von Truppen ausgelegt. Eine kleine Berührung reichte, damit er abhob, sich vom Flügel des TIE-Jägers befreite und durch das flackernde Magnetschild des Hangars schoss.

    Sie gingen mit dem Reaper auf sichere Distanz. Vereinzelte Trümmer verpufften an den Schilden des Schiffs. Schon bald war die Exigent lediglich ein hellgrauer Fleck in der Ferne. Der Raketenbeschuss hatte das Schiff teils in Flammen gesetzt und auf der Steuerbordseite war das Aufblitzen elektrischer Energie deutlich zu erkennen. Noch kleinere Flecken entfernten sich vom Schiff – Rettungskapseln und evakuierte TIE-Jäger.

    Vonreg lehnte sich in ihrem Sitz nach vorne. Ihre behandschuhten Finger gruben sich in die Armlehnen. „Sieh dir das an.“

    Shen begann, lautlos zu zählen.

    „Man hat uns gesagt, dass Nuvar ein sicheres System ist! Was zur Hölle macht unser Geheimdienst seit Endor? Spielen die den ganzen Tag lang Zinbiddle?! Wenn Captain Kerrill davon erfährt, wird sie ...“

    Ka-buuuuumm!

    Ein grelles, blauweißes Licht breitete sich vor ihnen aus. Vonreg hielt die Hände vor die Augen. Shen ließ den blendenden Schein von seinem Helm ausgleichen. Das Licht verblasste. Die Exigent war in drei langsam auseinandertreibende Teile zerbrochen. Der brennende Rumpf schälte sich langsam ab.

    „Reaktorüberladung“, erklärte Shen trocken.

    „Zweihundert unserer Leute waren da an Bord“, knirschte Vonreg. Die Blässe in ihrem Gesicht wich einem erzürnten Rot.

    Sie gab etwas an ihrer Konsole ein. Shen beobachte das brennende Wrack der Exigent , während er den Reaper sachte steuerte. Seit Endor hatte er das Ende zu vieler Schiffe miterleben müssen.

    „Da“, sagte Vonreg. Sie hatte eine Übersicht des Nuvar-Systems geöffnet. Eine Flugbahn war zu erkennen, die zum Mond des zweiten Planeten führte. „Es sieht so aus, als wären die Raketen aus einer Verteidigungsstation im Orbit des Mondes gekommen. Hier. Einer imperialen Station.“

    Shen wandte sich ihr zu. „Eine von unseren?“

    „Den Aufzeichnungen zufolge, ja. Scheinbar haben wir sie den Rebellen – oder der Neuen Republik, oder wie auch immer die sich jetzt nennen – vor zwei Monaten abgenommen.“

    „Hm.“

    „Nicht wahr? Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn. Warum sollte unsere eigene Station die Exigent abschießen?“

    Vonreg starrte hinaus in die Sterne. „Wir müssen der Sache auf den Grund gehen. Zur Station fliegen und herausfinden, was passiert ist. Vielleicht war es ein Sabotageakt der Rebellen. Oder ein blinder Passagier. Oder ...“

    „Es gibt Überlebende.“ Shen nickte in Richtung des Wracks. Vereinzelt waren Rettungskapseln zu erkennen.

    „Und wie lange bleiben sie am Leben, wenn die Station weitere Raketen abfeuert?“, wollte Vonreg von ihm wissen. „Außerdem wäre da noch der Rest der Titan-Staffel. Wenn sie jetzt herspringen, werden sie sofort von einem weiteren Raketenangriff erfasst. Unsere Verluste wären noch größer als bei Var-Shaa.“ Sie ballte die Faust. „Nein. Die Überlebenden können warten, bis wir die Lage unter Kontrolle haben.“

    „Wir sind keine Kommandosoldaten.“

    Vonreg riss der Geduldsfaden. „Meine Brüder sind in einem Angriff wie diesem gestorben“, erwiderte sie bissig. „Eine einzige Raketensalve der Rebellen und meine halbe Familie war fort. Einfach so!“ Sie schnippte mit dem Finger. „Ich schere mich einen Dreck um das Missionsprotokoll. Eher reiße ich diese verdammte Station mit meinen bloßen Händen auseinander, als dass ich auch nur einen einzigen weiteren Piloten auf diese Weise verliere!“ Vonreg warf ihm einen erbitterten Blick zu. „Bist du auf meiner Seite oder nicht?“

    Shen versuchte, sie einzuschätzen. Er kannte Vonregs ungezügelte Kampfeslust. Aber das war etwas anderes. „Okay.“

    „Okay?“

    „Okay. Ich bin dabei.“

    Vonreg lehnte sich zurück, ihr Blick noch immer angriffslustig. „Gut. Schön zu hören.“

    Sie warf seiner Brust, aus der noch immer der Durastahl-Splitter ragte, einen kurzen Blick zu. „Aber zuerst sollten wir uns mal darum kümmern.“

    Shen zuckte mit den Schultern. „Darum muss sich eine Krankenstation kümmern. Oder ein Mechaniker. So oder so, das kann warten.“

    Vonreg schüttelte den Kopf, löste ihren Gurt und verschwand im Truppenabteil des Reapers. Nach kurzer Zeit kam sie mit einem Medipack wieder hervor. „Nimm wenigstens ein paar Antibiotika, verdammt nochmal.“

    Sie wechselten die Sitzplätze. Methodisch injizierte sich Shen die drei Stims aus dem Medipack und wischte sich den Großteil des Bluts ab, das ihn bedeckte. Währenddessen stellte Vonreg den Kurs des Reapers ein. Immer wieder warf sie ihm einen kurzen Blick zu.

    „Du benimmst dich, als würde das nicht weh tun“, stellte sie fest.

    „Tut es auch nicht.“

    „Komm schon. Wie soll das denn bitte nicht wehtun?“

    „Übung.“ Shen warf die leeren Stim-Injektoren über seine Schulter und griff auf die Kopiloten-Steuerung zu. Er konnte bereits spüren, wie seine organischen und mechanischen Systeme wieder ins Gleichgewicht kamen.

    Vonreg schnaubte. „Das haben wir wohl gemeinsam. Wir fühlen nichts, wir kämpfen einfach. Vielleicht verstehen wir uns deswegen so gut.“

    Shen überprüfte schweigend den Kurs und die Geschwindigkeit.

    Nach kurzer Zeit begann Vonreg wieder zu sprechen. „Mein jüngerer Bruder, Hedrian. Die Torpedos der Rebellen haben ihn nicht sofort getötet. Er hat es zurück bis zu seinem Hangar geschafft – zumindest das, was noch von ihm übrig war – bevor ...“ Ihre Hände steuerten das Schiff mit eingeübter Methodik, doch ihr Blick verlor sich in den Sternen. „Es ist eine hässliche Art zu sterben. Zu vielen Leuten auf der Exigent wäre das gleiche Schicksal widerfahren.“

    „Immerhin muss man nicht lang leiden“, antwortete Shen schlicht.

    Sie setzten ihren Kurs einige Zeit in Stille fort, bevor Vonreg antwortete. „Wenn du sensibel bist – wenn –, dann kommst du irgendwann an eine Grenze, ab der du es nicht mehr ertragen kannst. Wenn das passiert, musst du dich an irgendetwas festklammern, um weitermachen zu können. Selbst, wenn es nur dein nächstes Missionsziel ist. Hauptsache, es treibt dich weiter vorwärts. Alles andere musst du ausblenden. Nur so überlebst du.“

    Vonreg warf ihm einen Blick über die Schulter zu. „Erzähl bloß niemandem, dass ich das gesagt habe ...“

    „Warum sollte ich?“

    „Hm.“ Sie richtete sich auf. „Packen wir’s an.“

    Shen stimmte ihr zu.

    * * *

    Sie näherten sich gerade der Station – einem kleinen, grauen Schatten über einem staubbedeckten Mond –, als ein Alarm ertönte und in einen schrillen Ton überging, den sie beide sofort erkannten.

    „Die Station hat uns mit einer Rakete erfasst“, stellte Shen fest. Er leitete mit dem Reaper ein Ausweichmanöver ein.

    Vonreg begutachtete die Waffensysteme des Reapers und verzog das Gesicht. „Die Reparaturen fanden wohl gerade statt, als der Angriff geschah. Das Schiff verfügt nicht einmal über Gegenmaßnahmen. Nur die Laserkanonen sind installiert.“

    „Schaffst du das?“

    Vonreg beäugte die Sensoren. Shen wartete. Er wusste, dass sie das geübte Auge einer Schützin besaß. Eine weitere Meldung blinkte auf, diesmal eine Warnung. Von Rakete erfasst.

    „Ja.“ Vonreg blickte auf. „Es ist möglich. Aber du musst mich für den Schuss in Position bringen. Bring uns so nah wie möglich an die Station, um die Zielerfassung zu verwirren, dann dreh uns auf Steuerbord.“

    „Sag mir einfach Bescheid, wann ich beidrehen soll.“

    Shen nahm Kurs auf die Station und beschleunigte. Die Systeme seines Helms hatten die Rakete, die ihnen entgegenflog, bereits identifiziert und zeichneten eine weiße Flugbahn zwischen die Sterne. Vonregs Augen waren auf die Sensoren gerichtet, ihr Daumen schwebte über dem Abzug.

    Die Rakete war nun deutlich zu erkennen. Fünfzig Klicks. Ganz gleich, welchen Sprengkopf sie auch besitzen mochte, er war definitiv stark genug, um ein Loch in den Rumpf eines Trägerschiffs zu reißen.

    Dreißig Klicks.

    Ein einziger TIE-Jäger würde beim Aufprall sofort in glitzernden Staub verwandelt werden. Nicht einmal Shen würde eine solche Explosion überstehen.

    Fünfzehn.

    „Jetzt!“

    Shen drehte den TIE-Reaper hart auf Steuerbord. Normalerweise sind Truppentransporter nicht darauf ausgelegt, so scharf wie ein Bomber zu wenden. Er spürte, wie der Rumpf des Schiffs ächzte, doch ein „Nein“ nahm er als Antwort nicht hin. Er konnte die Grenzen des Reapers spüren und reizte diese aus, so gut er nur konnte. Eine Sekunde später feuerten die Laserkanonen eine grüne Salve ab, mit der die Rakete in Stücke gerissen wurde.

    „Sie versuchen, uns mit einer weiteren Rakete zu erfassen“, meldete Vonreg.

    Shen schätzte ihre Flugbahn ein. In der Ferne vor ihnen war ein blaues Rechteck zu erkennen – der Hangar der Station.

    „Shen?“

    „Wir können es bis zum Hangar schaffen, bevor uns die Rakete erfasst. Steck alles in die Triebwerke.“

    Vonreg leitete sämtliche Energie auf die Triebwerke um. Shen beschleunigte den Reaper auf seine Höchstgeschwindigkeit und aktivierte die Schubdüsen. Die g-Kraft drückte sie fest in die Sitze. Der Rumpf des Schiffs klapperte. Die Station und das blaue Magnetschild des Hangars rückten mit besorgniserregender Geschwindigkeit näher.

    Der Raketenerfassungsalarm wurde schriller.

    Shen kappte die Energiezufuhr nur wenige Sekunden bevor sie durch das Schild flogen. Der TIE-Reaper krachte in den Hangar, schrammte quietschend über das Deck, warf unzählige herumliegende Kisten um und kam schließlich am Ende des Hangars zum Stillstand.

    Vonreg atmete tief aus. „Wir haben es tatsächlich geschafft.“ Ihre Hand klatschte gegen Shens ausgestreckte Handfläche. „Gute Landung.“

    „Danke. Und was jetzt?“

    Ein finsteres Grinsen breitete sich auf Vonregs Gesicht aus. „Jetzt finden wir heraus, wer auf uns geschossen hat, und revanchieren uns.“ Sie schritt zum Waffenschrank des Reapers und griff nach zwei Blastern. „Die Station ist sehr klein. Sind vermutlich nicht mehr als ein halbes Dutzend hier.“

    Shen betrachtete den Blaster für einen kurzen Moment, bevor er ihn an seinem Gürtel befestigte. „Immer noch mehr als wir. Bleib wachsam.“

    Sie gingen die Laderampe hinab. Der Hangar war ein einziges Chaos. Kisten lagen überall verstreut und ihre Landung mit dem Reaper hatte eine tiefe Schneise ins Deck gerissen. Außer dem Geräusch der sich abkühlenden Triebwerke war es komplett still.

    Als sie sich dem Zugangsaufzug des Hangars näherten, schnippte Shen mit seinen Fingern und lenkte Vonregs Blick mit einem Fingerzeig auf die aufleuchtende Anzeige. Sie verstand sofort und gestikulierte eindringlich zurück: Der Aufzug fährt runter.

    Sie gingen jeweils auf einer Seite des Aufzugs in Position. Einige Augenblicke später kam der Aufzug zum Stehen. Die Türen öffneten sich.

    Zwei Personen in grauen und weißen Uniformen traten heraus. Sie machten einige Schritte in Richtung des qualmenden TIE-Reapers und warfen sich einen Blick zu. „Wenigstens spinnen die Sensoren nicht auch rum. Aber was zu...“

    Vonregs Blasterschuss traf den linken der beiden Männer im Bein. Er schrie auf, fiel und hielt sich seinen Oberschenkel. Während sich der andere Mann umdrehte und rasch versuchte, seine Pistole zu ziehen, traf ihn bereits die Shens Faust. Die Wucht des Schlags ließ ihn einige Schritte zurücktaumeln, bevor der Mann schließlich benommen zu Boden ging.

    Vonreg ging zu dem Mann, den sie angeschossen hatte. „Das nächste Mal, wenn ihr auf imperiale Truppen schießt“, knurrte sie, „solltet ihr darauf achten, dass ihr niemanden überseht.“

    „Warte! Argh ...! Warte, bitte! Wir ...“

    Shen trat zum zweiten Mann, packte ihn am Kragen und hob ihn mühelos in die Luft. Er hatte mit einer hartgesottenen Kommandoeinheit der Neuen Republik gerechnet. Der junge, noch immer benommene Mann vor ihm – mit olivfarbener Haut und unordentlichem, schwarzen Haar – schien ihm gerade mal alt genug, um die ersten Barthaare zu bekommen.

    Hinter ihm fluchte Vonreg heftig. „Shen ...“

    „Ja?“

    Sie deutete auf das Abzeichen auf der Schulter des jungen Mannes, der vor ihr kauerte. Ein imperiales Abzeichen.

    „Das sind Kadetten.“ Sie spie das Wort aus, als gäbe es nichts Verachtenswerteres. „Unsere Kadetten.“

    Shen wandte sich wieder seinem Burschen zu.

    Fähnriche“, keuchte der Mann, den er noch immer am Kragen gepackt festhielt. „Fähnrich Nicobar ... Und das ist Fähnrich Werrens ...“

    „Ist mir egal.“ Vonreg kam Nicobar mit dem Gesicht so nahe, dass sich ihre Nasenspitzen fast berührten. „Wer hat hier das Sagen? Warum habt ihr auf ein verbündetes Trägerschiff gefeuert?“

    „Das wissen wir nicht!“, keuchte Werrens, der sein Bein umklammerte.

    „Das ist kein guter Anfang“, warnte ihn Vonreg.

    „Der Kontrollturm ...“

    Shen setzte Nicobar wieder ab und schubste ihn in den Aufzug. „Bring uns hin. Sofort.“

    #

    Sie fuhren mit dem Aufzug zum Kontrollturm, in dem drei weitere imperiale Kadetten die Stationen bemannten. Als sich die Türen öffneten, richteten sich die schockierten Blicke der Kadetten auf den hinkenden Fähnrich Werrens, dann auf Vonreg. Sie wichen hastig zurück, während sie zur Hauptkonsole schritt und auf den Hauptcomputer zugriff.

    „Wer seid i...“, begann eine Kadettin, doch er Anblick des blutigen Durastahl-Splitters in Shens Brust lies sie schlagartig verstummen.

    Shen beäugte sie und die anderen Kadetten sorgfältig, während sich Vonreg an die Arbeit machte. Ihre Uniformen waren unordentlich, ihre Gesichter voller Angst. Keine Spur von einem Offizier. Die Kadetten waren nur wenige Jahre jünger als die beiden TIE-Piloten, die er auf der Exigent sah, bevor die Rakete einschlug. In einem Augenblick noch voller Leben und Tratsch, im nächsten tot.

    Vonrags Faust fuhr auf die Hauptkonsole nieder und ließ die Kadetten im Einklang aufschrecken. Dann stützte sie sich gegen die Konsole, als träge sie plötzlich eine schwere Last auf ihren Schultern. „Unglaublich.“ Sie wandte sich Shen zu. „Diese Vollidioten hatten den Befehl, eine eingenommene Rebellenstation zu bemannen, haben dabei aber vergessen, die Profile im Zielerfassungssystem zu löschen. Es ist noch immer so kalibriert, dass es auf alle imperialen Schiffe in Reichweite schießt.“

    Protestrufe ertönten im ganzen Raum.

    „... wussten überhaupt nicht, dass das System so kalibriert ist!“

    „Unser befehlshabender Offizier holt gerade Verstärkung!“

    „Genau! Das sollte nur vorübergehend ...“

    „Wir haben versucht, Kontakt herzustellen! Niemand hat geantwortet. Oder das System war beschädigt ...“

    „Das war nicht unsere Schuld!“ Werrens trat hinkend vor. „Wir wurden direkt von der Akademie hierher geschickt! Es hieß, dass sie nach Endor jeden imperialen Offizier brauchen, den sie kriegen können! Wir haben noch nicht mal unsere letzten Examen und Tests gehabt, aber die meinten, dass wir bereit sind! Dass sie uns brauchen ...“

    Shen und Vonreg tauschten Blicke aus. Sie drückten das unausgesprochene Paradox der imperialen Loyalität nach Endor aus: Obwohl ihr Imperium selbstverständlich unfehlbar war, war es manchmal ein bisschen weniger unfehlbar, als es ihnen lieb wäre.

    „Es tut uns leid“, flüsterte Nicobar.

    „Es tut euch leid?“, donnerte Vonreg. „Ein Trägerschiff wurde zerstört und Hunderte loyale Besatzungsmitglieder haben ihr Leben verloren. Wegen eines Versehens, dessen Vermeidung euch gleich vom ersten Tag an hätte eingetrichtert werden müssen. Und du sagst, dass es euch Leid tut?! Warum wischt ihr euch nicht gleich den Arsch mit euren imperialen Uniformen ab, wenn ihr schon dabei seid?“

    „Aber wir ...“

    „Kein Wort will ich hören!“ Vonregs Stimme peitschte durch den Raum. „Wisst ihr, wie viele Familien heute dieses eine Hologespräch führen werden, vor dem sie sich alle fürchten? Und das so kurz nach Endor, Var-Shaa und ...“ Ihre Hand wanderte zum Griff ihres Blasters. „Verdammt, wir sollten ein Exempel an euch statuieren. An euch allen. Dann müssen sich die Rebellen nicht die Hände schmutzig machen!“

    Die Kadetten drängten sich zusammen. Shen trat zwischen sie und Vonreg. „Vonreg. Atme tief durch. Dann zähl bis drei.“

    Sie starrte ihm direkt in die Augen. Zumindest kam es ihm so vor. Er wusste, dass sein Gesicht aus ihrer Perspektive nur ein staubiger, alter TIE-Helm war. „Du verteidigst diese absoluten Versager?“

    „Sie sind unsere Versager“, erwiderte Shen.

    „Sieh dir nur an, wie sie die Exigent zugerichtet haben. Wie sie dich zugerichtet haben!“

    „Sie haben deinen Bruder nicht auf dem Gewissen“, erwiderte Shen.

    Er spürte, wie sich Verwirrung unter den Kadetten hinter ihm breitmachte.

    Vonreg fauchte zurück: „Glaubst du, dass ich so verrückt bin, dass ich das nicht selbst weiß?“

    „Du weißt es“, sagte Shen. „Jetzt ist es an der Zeit, es auch zu fühlen.“

    Ein verärgertes Zischen entwich zwischen ihren Zähnen. „Was schlägst du vor? Dass sie einfach damit davonkommen?“

    „Nein“, konterte Shen. „Dass sie mit der Schuld leben. Jeden einzelnen Tag.“ Er klopfte sich auf die Brust. „So, wie wir es auch tun.“

    Vonregs Blick wurde weicher. „Ich hasse es, wenn du Recht hast.“

    Ihre Hand löste sich von ihrem Blaster. Der gesamte Raum schien aufzuatmen, während sie in Richtung des Aufzugs schritt. Shen folgte ihr.

    „Ich habe die Zielerfassungsprofile gelöscht“, rief Vonreg den Kadetten über ihre Schulter zu. „Versucht, nicht wieder Mist zu bauen, bis wir jemanden mit mehr als zwei Gehirnzellen vorbeischicken, der hier das Kommando übernimmt.“

    „Wartet ...“, stammelte Nicobar zögerlich. Er trat einen Schritt vor. „Wer seid ihr? Zu welcher Staffel gehört ihr?“

    Shen und Vonreg hielten kurz in der Türe inne. Für einen kurzen Augenblick sah Shen sich und Vonreg aus der Perspektive der Kadetten: eine vernarbte Furie und ein gesichtsloser, blutiger Riese.

    „Wir sind von der Titan-Staffel“, sagte Vonreg. „Ihr werdet es nicht soweit bringen.“

    „Aber ihr werdet lernen“, fügte Shen hinzu, während sich die Türen schlossen.

    * * *

    Zwei Stunden später traf der Rest der Titan-Staffel im System ein, angeführt vom Sternenzerstörer Overseer. Vonreg schloss sich der Suche nach Überlebenden von der Exigent an. Nachdem er Bericht erstattet hatte, wurde Shen von Grey, dem Anführer seiner Staffel, vom Dienst freigestellt.

    Der Chefarzt der Overseer rollte mit den Augen, als Shen die Krankenstation betrat. „Du? Schon wieder?

    „Ich. Schon wieder.“

    „Leg dich hin. Ich bereite die Operationsdroiden vor.“ Der Chefarzt begutachtete den Durastahl-Splitter in Shens Brust sorgfältig. „Die Systeme in deinem Oberkörper sind sowieso überfällig für eine Generalüberholung. Aber selbst das Entfernen deiner Rüstung wird wehtun. Versuch, den Schmerz wegzuatmen.“

    Shen nickte. „Die alte Routine ...“

    „Nicht mehr lange Routine, wenn wir weiter Verluste einbüßen.“ Der Chefarzt streifte sich seinen Kittel über und griff nach dem Bacta-Spray. „So viel du auch wegstecken kannst, uns werden die medizinischen Mittel ausgehen. Ganz egal, was die Propagandaübertragungen behaupten. Nur, damit du Bescheid weißt. Pass auf dich auf.“

    Shen saß am Rand des Betts und verarbeitete, was er gerade gehört hatte. Es ging also nicht nur um Schiffe. Die jungen Kadetten von der Station – und andere imperiale Kadetten überall in der Galaxis – wurden zur Verteidigung eines Imperiums einberufen, dem nach und nach die Ressourcen ausgingen.

    „Heb dir die Vorräte für eine andere Gelegenheit auf“, sagte er. „Flick mich einfach wieder zusammen. Keine Generalüberholung.“

    Der Chefarzt lächelte reumütig. „Dein Glück. Unsere neuen Befehle lauten, dass wir alle Piloten brauchen, die wir haben. Ich bin dazu verpflichtet, für deine volle Einsatzbereitschaft zu sorgen. Jetzt leg dich hin.“

    Shen legte sich zurück.

    Atme, um zu überleben. Damit du genug spürst, um zu leben.

    Das Imperium lernt nun, was du gelernt hast. Wut, Schuld und Schmerz erlöschen irgendwann. Und dann findest du heraus, wie das Feuer dich neu geformt hat. Erst, wenn das Schlimmste überstanden ist, findest du heraus, wer du wirklich bist. Du findest heraus, ob genug von dir übrig ist, um weiterzumachen.

    Und wenn nicht, dann findest du heraus, was den Rest von dir ergänzen kann.

    Die Operationsdroiden begannen mit ihrer Arbeit. Shen schloss die Augen und atmete tief ein.

    ENDE

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